Albrecht Lampe (1945-2024)

Ich möchte lieber nicht - I would prefer not to.

Zum Tod von Albrecht Lampe

I would prefer not to. Diesem Satz aus Herman Melvilles Bartleby der Schreiber wird nachgesagt, er sei Ausdruck des sanften Widerstands gegen eine mechanisierte und institutionalisierte Welt. In den Augen des französischen Philosophen Gilles Deleuze ist Bartleby ein Held der Postmoderne, der sich weigert, ein Rädchen im Getriebe großer Systeme und Weltentwürfe zu sein.

Albrecht Lampe benutzte diesen Satz oft, er bildete eines von drei seiner mir in Erinnerung gebliebenen Motti. In seiner Funktion als Kurator und Geschäftsführer der damaligen Fachhochschule Ottersberg münzte er ihn in seinem Umgang mit uns um in einen sanften Umgang mit Widerständen. Er gewann fast immer. Von 1994 bis 2010. Dass er diesen sanften Umgang mit Widerstand möglicherweise in einer seiner früheren Tätigkeiten, zum Beispiel der als Teppichverkäufer, trainiert haben könnte, blieb für uns in einem legendenhaften Halbdunkel. Denn Albrecht Lampe kommunizierte viel und wirklich gerne, doch er verstand es auch, sich in einem gleichsam präsenten Hintergrund zu halten.

Als ich 2007 an die Hochschule kam, wurde Albrecht Lampe schon bald zu meinem Mentor. Der Beruf der Professorin ist kein Lehrberuf. Es ist - wie beim Schwimmen - nicht möglich, sich auf dem Trockenen darauf vorzubereiten. Albrecht Lampe half mir bei den ersten Schwimmzügen in Ottersberg. Auch in den folgenden Jahren und bis zu seinem Ausscheiden war unser Verhältnis von einer respektvollen Zuneigung geprägt. Er war es, der mich 2009 – da wusste er schon, dass er bald ausscheiden würde – bei einer gemeinsamen Bahnfahrt fragte, ob ich nicht seine Nachfolge als Vertreterin der Fachhochschule Ottersberg bei ECArTE, dem European Consortium for Arts Therapies Education, antreten wolle. Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können. Die Kombination einer kleinen, familiär geprägten Hochschule auf dem Lande mit internationaler Vernetzung ist für mich ebenso ideal wie sie es wohl für ihn gewesen ist. Kurz darauf reisten wir gemeinsam nach London zur Central School for Speech and Drama, wo die ECArTE-Konferenz The Space Between – the potential for change stattfand. 2010 verabschiedete ECArTE Albrecht Lampe in Helsinki und ich übernahm den Staffelstab. In Bewegung sein. Und bewegen, in reziproken Verhältnissen. Denn Albrecht Lampe bewegte nicht nur, er ließ sich auch bewegen. Einmal hat er für einen Tag seinen Arbeitsplatz mit einer Studentin getauscht. Sie saß in seinem Büro, er an ihrem Atelierplatz wo er sich mit der Frage befasste, ob es wohl möglich sei, gleichzeitig hell und dunkel zu malen. Ein Ergebnis, notierte er, wäre wünschenswert.

Bewegung macht das Instabile stabil. Das war folgerichtig das zweite, zentrale Motto des passionierten Rennradfahrers Albrecht Lampe. Wie für alles, interessierte er sich auch dafür gründlich. Er ergründete die Technik von Fahrrädern, nahm sie auseinander und setzte die Teile in anderer Weise und mit neuer Funktion wieder zusammen. Das hat er uns anlässlich eines Kollegiumstags eindrücklich vorgeführt. Mit derselben Gründlichkeit führte er schwarze Notizbücher, die, eng beschrieben, säuberlich aufgereiht in seinem Büro standen. Ständig trug er eines bei sich. Im Unterschied zu Bartleby hörte er nie auf, sie zu füllen. Was er dort notierte, wusste nur er. Einmal sagte er zu mir, er sei eigentlich ständig mit mindestens 40 parallelen Vorgängen beschäftigt. Heute weiß ich, was er meinte. Damals erschien mir das ungeheuerlich.

Draußen nur Kännchen. Das war das dritte Motto des begeisterten Mensagängers Albrecht Lampe. Es konnte geschehen was wolle, jeden Mittag erschien er pünktlich zum Mittagessen und nahm seinen Platz am Kopfende des Kolleg:innentisches ein. Er versäumte nie, nach der Nachspeise - von ihm, dem Anglophilen, stets Pudding genannt - zu fragen. Das Motto bezog sich aber nicht nur auf Kontexte des Speisens. Es markiert vielmehr seinen leicht spöttischen Umgang mit den in seinen Augen unsinnigen Regelungen, mit welchen er ständig zu tun hatte und die er, das war sein besonderes Talent, verflüssigte. In manchen Deutungen wird Bartlebys Ich möchte lieber nicht als Freiheit der menschlichen Handlungswahl verstanden.

Nun ist Albrecht Lampe im Alter von 78 Jahren gestorben. I would prefer he had not done so.

Gabriele Schmid

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